Achtung!! In dieser Rezension wird teilweise gespoilert!
Die Handlung:
Er (Javier Bardem) und Sie (Jennifer Lawrence) sind ein namenloses
Paar und leben abgeschieden in einem viktorianischen Landhaus ohne Smartphone
und Fernseher mitten im walddichten Nirgendwo. Bardem ist Schriftsteller und
plagt sich gerade mit einer Schreibblockade, während Lawrence das gemeinsame
Haus nach einem verheerenden Brand selbstständig und aufopferungsvoll renoviert
und aufhübscht. Irgendwann klingelt es an der Tür, der Fremde (Ed Harris) stellt sich als Arzt und
großer Fan von Bardems Werk vor. Wie selbstverständlich gewährt er dem
Eindringling einen Schlafplatz und Zuflucht im Haus, was Ihr so gar nicht
genehm ist. Nur ein Tag darauf taucht plötzlich auch die Frau des Fremden
(Michelle Pfeiffer) auf, die ebenfalls kurzerhand in das Haus einzieht. Zur Eskalation kommt es schließlich, als dann
noch die Beiden Söhne der Fremdlinge einlaufen. Was dann folgt ist ein Mord, eine
ersehnte Schwangerschaft und der inspirierende Funke für den Dichter (der sein
Meisterwerk erschaffen wird), bevor buchstäblich die Hölle im trauen Heim
ausbricht.
Darren Aronofskys 7. Regiearbeit ist ohne Frage ein kontroverser
Film, über den im Vorfeld schon vieles zu lesen und zu hören war. Ein cineastischer
Albtraum, hieß es, bei den Filmfestspielen in Venedig vom Publikum gnadenlos
ausgebuht, außerdem wurden vielerorts Vergleiche mit Polanskis Klassiker ROSEMARY'S
BABY unternommen.
Erst mal stellt sich die Frage: Welches Genre wird hier
bedient? Drama, Psychotrip, Horror, Groteske, Arthaus, göttliche Komödie? Von
allem etwas, würde ich sagen.
Ist ‚mother!’ das ROSEMARY'S BABY der Neuzeit? Jein. Ja, es gibt eindeutig Parallelen, wie die
Schwangere und zweifelnde Ehefrau, der Künstler der nach dem Erfolg giert und das
Böse, das von Außen in die heilige Privatsphäre eindringt. Im Polanskis
Klassiker waren es die direkten Nachbarn, die sich als Satanisten entpuppten
und John Cassavetes eine Schauspielkarriere versprachen. Bei Aronofsky sind es
die glühenden fanatischen Fans von Bardems Charakter, die ihn und sein Werk
überkultisch verehren, bevor die Apokalypse ausbricht. Und Nein, es ist kein RB
Remake geworden, zum Glück.
Und ist der Film sehenswert? Zum Teufel, ja!!
Es gibt einige Interpretationsmöglichkeiten, die man im Internet
nachlesen kann. Ich finde aber, man sollte sich unvoreingenommen und möglichst
‚keusch’ auf diese Erfahrung einlassen und seine eigenen Interpretationen aus
dieser Geschichte ziehen, sofern man denn das überhaupt kann und auch
entschlüsseln will. Denn eines ist sicher, kalt lassen wird der Film niemanden
(vorausgesetzt man ist nicht völlig abgestumpft).
Lawrence Figur, die unentwegt an der Kamera haftet, scheint mit dem Haus irgendwie verbunden zu
sein, das wird gleich zum Anfang klar.
Jedes mal, wenn sie die Wände berührt, nimmt Sie Kontakt zu dem ‚inneren Organ’
des Hauses auf...daraufhin fangen die Wände und der Fußboden an zu bluten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, die biblische Symbolik und Metapher durchstreift den kompletten Film,
es ist eine Art abstrakte Version der ‚Buch der Bücher’, also der Bibel.
Bardem (ER, großgeschrieben) und Lawrence (mother!
kleingeschrieben) sind ein gegensätzliches Paar. ER ist meistens egozentrisch und
distanziert, sie anhänglich und bedürftig. Es herrscht Liebe und Schrecken in
der Beziehung. Auf den ersten Blick ist ER der Künstler (DER Erschaffende) und
sie seine Muse (die gequälte Ehefrau, die sich zu Hause ein Paradies
erschaffen möchte). Pfeiffer und Harris könnten als Adam und Eva durchgehen,
die aus Lawrence Paradies vertrieben werden (als Bardem das Wort in Zorn erhebt,
nachdem Pfeiffer sein ominöses ‚Kristall’ zerstört hat). Die Söhne der Beiden,
von denen nur einer überleben wird, kann man als Kain und Abel auslegen. Dann
der Wasserrohrbruch, verursacht durch die Fremden im Haus, vielleicht eine
Anspielung auf die Sintflut? Und als das komplette Chaos regiert und Lawrence schmerzerfüllt
die Welt nicht mehr versteht, sieht Bardem einfach nur zu und unternimmt nichts
(und ich würde ihn als Gott sehen, der sein Gesamtwerk den Menschen überlässt,
auch wenn Chaos und Zerstörung die Folge ist. Klingt schon ziemlich biblisch,
oder?). Der Film ist voll von solchen Anspielungen. Vielleicht kann man es sich
auch einfach machen und die Handlung schlichtweg auf den Künstler und seine
Muse beschränken und der Frage: Wie weit darf die Eitelkeit des Ruhms auf Kosten der
Privatsphäre gehen?
Der Showdown ist
extrem gewalttätig, aber meiner Meinung nach alles andere als sinnlos. Am Ende schließt sich jedenfalls erzählerisch
der Kreis und wenn der Abspann kommt, wissen wir als Zuschauer genau wie die
Geschichte weitergeht.
Die Besetzung ist erstklassig, Javier Bardem überzeugt als
Autor in der Schaffenskrise und Ed Harris als todgeweihter Eindringling ist wie
immer fantastisch.
Trotzdem, die klaren Abräumer-Rollen haben hier eindeutig die
Frauen ans Land gezogen. Allen voran Jennifer Lawrence, die hier eine
Performance abliefert, die Alle Hater und Neider erstummen lassen wird, mag man
von dem Film selbst halten was man will, Lawrence ist hier eine Offenbarung.
Ich vermute auch mal stark, dass die finanzielle Verwirklichung des Filmes vor
allem durch ihre Star-Power erst möglich gemacht worden ist. In einer dankbar unsympathischen Rolle
brilliert Michelle Pfeiffer, als ungebetener und trinkfester Gast, die selbstbestimmt, arrogant
und so boshaft agiert, dass man Sie am liebsten sofort erwürgen möchte. Auch die
eher als Komödien-Actrice bekannte Kristen Wiig („Brautalarm“) ist hier völlig
gegen ihren Typ besetzt und agiert als eiskalte Verlegerin, die auch mal über
Leichen geht, wenn’s sein muss. Interessant die Tatsache, dass hier während der gesamten
Spielzeit keine herkömmliche Filmmusik zu hören ist, lediglich Geräusche und
Klänge sind wahrzunehmen, eingespielt von dem Isländer Johann Johannsson, der
zuvor schon ‚Arrival’ und ‚Die Entdeckung der Unendlichkeit’ musikalisch
veredelt hat.
Die Kritiker urteilen sehr gemischt über ‚mother!’. Die einen argumentieren recht harsch und
finden das Spektakel Geschmacklos und übertrieben. Die anderen sehen darin
einen exzellenten Beitrag und wütenden Aufschrei über den besorgniserregenden
Zustand dieser Welt. Der Rest schließlich ist uneinig, loben den Großteil, verreisen
ihn aber für den letzten Drittel des Films. Mittlerweile hat sich auch der
Regisseur zu Wort gemeldet und seine Sicht der Dinge und Erklärungen zum Werk offengelegt.
Ich persönlich finde es mitreißend, wie Aronofsky hier
völlig kompromisslos mit einer progressiven Brutalität und auch einem gesundem
Schuss Arroganz seine Geschichte in 120 Minuten erzählt. Das tat er auch schon zuvor mit BLACK SWAN, THE
FOUNTAIN und REQUIEM FOR A DREAM, ein Wahnsinnsfilm und einer meiner Lieblingsfilme
Aller Zeiten. Aronofsky gehört für mich zu den besten und spannendsten
Regisseuren der Gegenwart, neben Paul Thomas Anderson und vielleicht noch Alexander
Payne.
Ich bin jedenfalls begeistert und glücklich darüber, dass
solche Filme überhaupt noch entstehen und wir gebannt ins Kino stürmen können.
Auch wenn mother! alles andere als leicht verdauliche Kost daherkommt und mich
tatsächlich in der Folge-Nacht teilweise um den Schlaf gebracht hat. Aronofsky
jagt hier gnadenlos alles in die Luft und zelebriert ein fiebertraumartiges Glanzstück, das mit einem ordentlichen
Knall endet.
Eine verstörende Zumutung, ja. Aber auch gleichzeitig ein Volltreffer!
Für mich jetzt schon ein Klassiker.
9.5/10
|
Rosemary's Baby (1968) und mother! (2017) |